Studenten brauchen mehr Freiheit an den Universitäten – DIE WELT
Der Bologna-Prozess hat es nicht geschafft, die Abbrecherquoten in Deutschland zu senken. Jetzt sollen zusätzliche Mittel das Scheitern der Studenten verhindern. So sinkt das Niveau weiter. Von Thomas Sebastian Vitzthum
Ist Freiheit der Individuen ein Risiko für eine Struktur, ein System? Oder eine Chance? Das sind grundsätzliche Fragen, die sich die Hochschulen in Deutschland und die Politik seit Jahren stellen. Sie tun dies, weil es scheinbar einen Zwang dazu gibt, der daraus resultiert, dass heute mehr als 50 Prozent eines Geburtsjahrgangs studieren.
Das schreit nach Reglementierung. An den Universitäten, Fachhochschulen und Kunsthochschulen gehen mehr als 2,5 Millionen meist junge Menschen ein und aus – mit Erwartungen, Idealen, hochfliegenden Plänen und frustrierenden oder hilfreichen Erlebnissen des Scheiterns. Letztere aber will ihnen die Politik möglichst versagen.
Im Moment verhandeln Bund und Länder über die Fortsetzung von Instrumenten, die die letzten Jahre maßgeblich geprägt haben: der Hochschulpakt zur Schaffung neuer Studienplätze und die Exzellenzinitiative, die eine früher vermeintlich existierende Gleichförmig- und Gleichwertigkeit der Universitäten überwinden helfen sollte. Die nun bereits bekannt gewordenen Pläne dokumentieren, dass beide Instrumente offenbar als einander widersprechend wahrgenommen wurden: die Universität für die Masse und die Universität mit elitärem Anspruch. Daraus ziehen die Hochschulpolitiker nun eine folgenschwere Lehre: Sie nähern beide einander an.
An Beschränkungen haben sich die meisten gewöhnt
Die Folgen sind weniger Freiheit von Forschung, Lehre und das universitäre Leben – ein weiteres Mal nach den gewaltigen Veränderungen, die die Reform der Studiengänge im Zeichen des Bologna-Prozesses gefordert hat. Bei dieser ging Freiheit verloren, die früher das Studentenleben sprichwörtlich ausgezeichnet hat. Auch sinnlose, altbackene Vorlesungen wurden zur Pflicht erklärt, sämtliche Veranstaltungen vom Tutorium bis zum Hauptseminar in Module gezwungen und mit Prüfungen erfasst.
Blicke nach links und rechts in andere Fächer wurden damit zu einem Luxus, auch und gerade weil es dafür ja keine Noten gibt. Das studentische Leben wird seither in Zertifikaten gemessen, noch mehr als es früher in Scheinen beschrieben wurde. An all diese Beschränkungen ihrer Freiheit haben sich Lehrende und Lernende irgendwie gewöhnt. Neue Generationen von Studenten kennen es nicht anders. Die Fortsetzung des Schulbetriebs in anderen Räumlichkeiten wird kaum infrage gestellt.
Doch hat irgendwer irgendwann auch als ein Ziel dieser Megareform formuliert, dass sie die Zahl der Studienabbrecher reduzieren müsse. Dies hat sie nicht geleistet, bis heute. Wen wundert es, dass 17-jährige Abiturienten sich schon mal für ein Studienfach entscheiden, das sich nicht als treffende Wahl erweist. Was seine Ursache eher im voruniversitären Bereich hat, soll aber nun dennoch allein die Universität heilen. Die nächste Freiheitsbeschränkung wird deshalb angekündigt.
Hat die Bologna-Reform die Seitenblicke, die ein Studium so reizvoll machten, beendet, so versucht die Neuauflage des Hochschulpakts nun das Scheitern und Neuanfangen zu verhindern. Künftig sollen von den Mitteln, die Bund und Länder für jeden neuen Studienplatz ausgeben, jeweils zehn Prozent in Maßnahmen fließen, die die Abbrecherquote senken helfen.
Pro Student und Semester sind das 2600 Euro. Viel Geld. Der Studienabbruch wird damit ehrenrührig, zum kostspieligen Angriff auf das System. Die Zeiten, in denen er als harmloser Irrtum, Fehleinschätzung oder gar sinnvolle Station auf der Suche nach dem richtigen Weg oder Fach verstanden wurde, sind leider vorbei.
Dabei wird nicht unterschieden zwischen einem kompletten Studienabbruch und einem -wechsel. Beides erscheint gleichermaßen schlecht. Natürlich sind die Abbrecherzahlen in einigen Fächern zu hoch. Wenn mehr als die Hälfte scheitert, muss sich das System schon Fragen gefallen lassen. Die richten sich an die Lehre, aber auch an die Inhalte, daran, ob die Professoren von dem, was Schulabsolventen überhaupt wissen können, noch eine richtige Vorstellung haben.
Die Konkurrenz für die Universitäten steigt
Wahrscheinlich würden die Abbrecherzahlen sinken, wenn Schulen und Hochschulen sich stärker verständigen würden. Doch während die Schulen hier offen sind, kommt vonseiten der Hochschuldozenten wenig bis nichts. Lieber richten die Unis mehr und mehr Tutorien ein, um Studenten “auf Stand” zu bringen. Der neue Hochschulpakt wird das noch befördern. Vielleicht sollte der ein oder andere Professor lieber über eine Revision seiner abgegriffenen Vorlesungsmaterialien nachdenken.
Der Druck, die Studienabbrecherzahlen zu senken und darüber jährlich Bericht zu erstatten, wird wohl auch einen Effekt auf die Noten haben. Dabei gibt es ohnehin nur noch wenige Fächer, in denen schlechte Zensuren zum Abbruch führen. Die Noten an den Unis sind viel zu gut, viel zu uniform. Sagen nichts mehr aus. Bald sind noch mehr gute Noten zu erwarten – auch in Fächern, die bisher davon nicht so betroffen waren: Jura etwa, Medizin, Mathematik, Naturwissenschaften.
Schließlich soll die Exzellenzinitiative fortgesetzt werden. Denjenigen, die schon Teil der bisherigen Förderung sind, verschafft das Luft und Planungssicherheit. Für den Rest ist die Lage unklar, zumal die Konkurrenz für die Universitäten steigt. So sollen künftig auch die Fachhochschulen berücksichtigt werden. Das kommt daher als Versöhnung der Massenhochschule im Dienste der Wirtschaft mit dem Eliteanspruch. Kann das gut gehen?
Die Politik sähe es gern, wenn die Studierenden sich in der Mehrzahl an den FHs tummeln würden und nicht an den Unis. Der Hochschulpakt will die Schaffung von mehr Plätzen an den FHs dezidiert fördern. Schließlich ist die Anwendbarkeit von Wissen längst zum Credo erhoben worden. Wegen der sich sehr schnell verändernden Berufswelten hat das aber zur Folge, dass die Hochschule diesen Ansprüchen hinterherdackelt. Wissenschaft tickt anders. Und das war immer auch gut so.
Als Teil der Exzellenzinitiative soll auch die beste Lehre gefördert werden. Wie man die misst, ist aber unklar. An guten Noten der Studenten? Dieses Kriterium scheidet aufgrund der Inflation der Supernoten aus. Bleiben Lehrproben externer Prüfer. Eine schauerliche Vorstellung.
Es steht zu befürchten, dass sich die sehr guten und vielleicht etwas überheblichen Wissenschaftler bald noch stärker aus der Lehre raushalten und das schlecht bezahlten Lehrbeauftragten überlassen. Den Studenten ist damit nicht gedient. Damit verlieren sie neben allen anderen Freiheiten auch noch jene, sich die Uni nach den besten Professoren aussuchen zu können.